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Querschnittsgelähmter Eishockeyspieler Glemser: "Warum ich?"

Lesedauer 5 Minuten
Quelle: dpa/Martin Moravec
30.01.2024

Pforzheim/Rosenheim (dpa) - Mike Glemser liegt in einem schwarzen Kapuzensweatshirt des Deutschen Eishockey-Bundes auf seiner Couch und ist geschafft. Der Stürmer hat gerade seine Reha hinter sich und muss sich von der harten Einheit erholen. "So wie allgemein das Leben schwerer geworden ist, so ist auch die Reha unheimlich anstrengend, einfach weil der Körper nicht richtig fit ist", erzählt der ehemalige Spieler der Starbulls Rosenheim, der mittlerweile in Pforzheim in der Nähe seiner Rehaklinik lebt, der Deutschen Presse-Agentur.

Glemser ist querschnittsgelähmt. Sein Unfall liegt nun fast ein Jahr zurück. Am 3. Februar 2023 kracht er im Oberligaspiel zwischen seinen Starbulls und dem SC Riessersee nach einem Zweikampf mit dem Kopf voran in die Bande. Wäre die Situation nicht so folgenschwer, könnte man sie als unglücklich bezeichnen.

Künstliches Koma, Bruch des vierten und fünften Halswirbels

Glemser muss auf dem Eis erstversorgt werden. Rund zehn Tage liegt er im künstlichen Koma in der BG Unfallklinik Murnau. Wie sich herausstellt, sind beim gebürtigen Stuttgarter der vierte und fünfte Halswirbel gebrochen. Man bezeichnet Glemser als Tetraplegiker, er kann Arme und Beine nicht mehr bewegen. "Der 3. Februar ist eigentlich ein normaler Tag, nur für mich ist er seit vergangenem Jahr ein Scheißtag", sagt er.

Für Glemser gibt es seitdem eine Zeit vor dem Scheißtag und eine Zeit nach dem Scheißtag. Die Zeit davor steht für Gesundheit, ein BWL-Studium, Normalität. Die Zeit danach bedeutet den Verlust von knapp 25 Kilogramm Körpermasse, 24-Stunden-Pflege, Abhängigkeit.

"Warum ich?"

"Bei mir funktioniert so wenig, ja fast gar nichts. Da kannst du kaum selbstständig etwas dafür tun, um die Situation zu verbessern, du bist immer auf jemanden anderen angewiesen", sagt Glemser und räumt ein: "Die Frage "Warum ich?" kommt in den schlechten Momenten öfter."

Wie soll man darauf eine Antwort finden? Genauso gut kann man fragen, ob man nach nur einem Jahr schon akzeptieren kann, wenn einem das frühere Leben voller Selbstständigkeit entrissen wird? "Ich glaube, du bist noch weit davon entfernt. Wo stehst du?", fragt ihn Freundin Lara Lindmayer, die neben ihm auf der Couch sitzt und immer für ihn da ist, was in seinem Fall gar keine Floskel ist. "Bei Null", erwidert Glemser.

Die Fortschritte sind zu klein

"Es braucht noch seine Zeit, um die Situation anzunehmen, wie sie ist", sagt Lindmayer. "Erst wenn man es im Kopf verarbeitet hat, kann es mental bergauf gehen." Glemser könne die Fortschritte, die er zweifellos mache, eben noch nicht im Alltag anwenden, wie zum Beispiel eine Tasse zu heben oder das Handy zu bedienen. Das frustriert. "Es geht mir zu langsam", sagt Glemser und lacht.

Sein Nacken und seine Schultern tun weh, er hat Atemnot und Nervenschmerzen. Zugleich muss er nach mehreren Monaten nicht mehr künstlich beatmet werden, sein Rumpf ist stabiler, seine Kreislaufprobleme kleiner geworden. Nach einer weiteren Operation und einem Infekt kann erstmals seit Mitte November in diesen sonnigen Januartagen wieder im Rollstuhl sitzen. "Manchmal muss man sich auch auf die kleinen Fortschritte besinnen. In einem langen Prozess sieht man sie aber nicht immer so leicht", sagt er.

"Wir haben uns nochmal ganz anders kennengelernt"

Wer vor dem Scheißtag an Glemsers Seite war und auch nach dem Scheißtag an seiner Seite ist, das ist seine Freundin, die nur wenige Monate vor dem Scheißtag mit ihm zusammengekommen ist. Es gibt also für das Paar auch eine Zeit vor dem Schmieden von Plänen und eine Zeit, in der man alte Pläne über den Haufen werfen und neue machen muss.

"Wir hatten vor dem Unfall nur eine sehr kurze Zeit für uns, in der wir nicht richtig sagen konnten, was wir wirklich für den anderen empfinden. An dem Tag des Unfalls habe ich gemerkt, wie sehr ich ihn liebe und was er mir bedeutet", sagt Lindmayer. "Ich sehe ihn immer noch als den gleichen Menschen. Wir haben uns nochmal ganz anders kennengelernt, viel verletzlicher, aber wir haben auch die große Stärke im anderen entdeckt."

Die Ärzte machen keine Prognosen

Der Unfall hat eine immense Anteilnahme ausgelöst, knapp 700 000 Euro kamen bei einer Spendenaktion zusammen. Das soll der Grundstock für ein neues, ein anderes Leben der beiden werden. "Mein Ziel ist es, wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen", sagt Glemser, der aber auch darauf verweist, dass die Ärzte bei so schweren Verletzungen wie bei ihm mit Prognosen sehr vorsichtig sind.

Was die Zeit wohl bringen mag? Glemser muss jedenfalls noch etwas los werden. "Was Lara leistet", sagt er, "kann man kaum in Worte fassen. Das ist unglaublich. Ich bin unendlich dankbar für das, was sie macht."

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